Seiltanz by Diemberger Kurt

Autor:Diemberger, Kurt [Diemberger, Kurt]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783492972468
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00

Filmen an Achttausendern – ein Abenteuer besonderer Art

»The climbers are allowed to refuse repetition of any moves and must not be required by the director or his team to turn around or change their directions for the sake of the film.« Ein geheimnisvoller Satz. Aber so stand er in meinem Vertrag mit einer großen amerikanischen Expedition, die eines der letzten noch ungelösten Probleme des Himalaya angehen wollte. Ich schüttelte den Kopf. Auf gut Deutsch hieß das, daß jeder der Bergsteiger sich weigern durfte, irgendeine Bewegung zu wiederholen, und daß es dem Regisseur oder seinem Team verboten war, ihn aufzufordern, für den Film einen Schritt zurück zu tun oder auch nur seine Richtung zu ändern! Ich murmelte etwas in meinen Bart, das ich hier nicht wiedergeben kann. Die Vereinigten Staaten – so streng sind dort die Bräuche? Dabei heißt es doch, das sei das Land der großen Demokratie.

Glücklicherweise nahmen die Kerle aus den verschiedensten Ecken des großen Landes die Klauseln des Kontrakts am Berg nicht allzu wörtlich, zeigten Verständnis für den Film und erwiesen sich als hilfreich. Auf diese Weise gelang es mit etwas Glück und nicht zuletzt auch dank der guten Zusammenarbeit in unserem Filmteam, einen der begehrten Emmys für unseren Dokumentarfilm zu erhalten – obwohl unsere Expedition den Gipfel des Everest nicht erreichte.

Es gab noch einen anderen Grund für diesen Erfolg: Psychologie – und ihre Wichtigkeit für den »american way«, die Dinge zu betrachten. Herbert Raditschnig, mein Schwager, der jahrelang Filme in den Staaten gedreht hatte, hatte mir den Rat gegeben: »Kurt, welche Diskussion auch immer sich ergibt, welcher Zweifel auch immer auftauchen mag, halte es im Film fest! Forsche in den Seelen der Bergsteiger nach ihrer Motivation, vielleicht über die psychischen Wurzeln, bis zurück in die Kindheit … Außerdem kannst du sicher sein, daß es Diskussionen geben wird, denn das ist das Land wahrer Demokratie; sei nicht überrascht, wenn sie Lager 3 nach einem Meeting abreißen und es nach einer weiteren Diskussion wieder errichten. Du wirst gerade das Gegenteil einer deutschen Herrligkoffer-Expedition erleben, wo ›Kapitän Karl‹ alles allein entschied.«

Herbert hatte recht mit seiner Vorhersage: Wenn ich an all die Rätsel denke, die es in dieser unbekannten, unberührten Ostwand des Everest zu lösen galt, an die Gefahr, von einem der riesigen Eiszapfen getroffen zu werden, die in der Schlußwand des Pfeilers direkt über uns hingen oder die weiter oben, am »Helm«, als mächtiger Saum wie eisige »Stirnfransen« dieses Monsters in der Luft schwebten; wenn ich an die unzähligen Lawinen denke, heranrasende Wolken aus weißem Pulver, die unsere Zelte wieder und wieder verschlangen … und andererseits an die Tatsache, daß wir auch ein Permit hatten, den Everest über eine »normale Route« zu besteigen statt als erste diesen »Weg« durch eine Wand von atemberaubender Schönheit zu erschließen – eine Wand, die bereits George Mallory als Möglichkeit für die Besteigung des Everest ausgeschlossen hatte – da bin ich nicht überrascht, daß diese Expedition sich als sehr demokratisch herausstellte! Besser gesagt: daß wir eine Menge Diskussionen hatten und schließlich in dieser Grenzsituation der Auseinandersetzung Mensch-Natur sogar der eine oder andere nach Hause ging.

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